Alpenüberquerung von Füssen zum Gardasee
(Titelfoto: Susanne Kratzer)
Alle Berichte aus der Reihe
Teil 1: Planung und Organisation
Teil 2: Über den Alpsee und Fernpass nach Imst
Teil 3: Regeneratives Ausschütteln der Beine zwischen Imst und Pfunds
Teil 4: Über wilde Grenzen und schwarze Löcher auf das Dach der Tour
Teil 5: Von Laas über Meran an den Kalterer See
Teil 6: (Un-)Ruhetag nicht nur am Kalterer See
Teil 7: Durch das Tor des Südens kurz vor dem Sprung zum Finale
Teil 8: Vom Gardasee überwältigt
Teil 9: Rückreise und Fazit
Strecke: 76 km
Höhenmeter bergauf: 970
Tiefenmeter bergab: 1.061
Alle Details, Streckenverlauf – Höhenprofil usw: Outdooractive-Karte
Download GPX-Datei
In Pfunds starten wir – wie bisher jeden Tag unserer Fahrradreise – bei bestem Wetter und strahlendem Sonnenschein. Wir hören von extremer Hitze zu Hause in der Nähe von Heidelberg / Mannheim. Pfunds liegt auf ca. 960 m Meereshöhe – hier haben wir noch eine angenehm frische Bergluft an diesem Morgen, es macht Spaß.
Zunächst führt der Weg aus dem Ort hinaus über Wiesen. Wir überqueren den Inn, der nun den Charakter eines Bergbachs hat, abermals über eine kleine Brücke, bevor es in einigen weiten Spitzkehren hinauf zum Waldrand geht, dem wir folgen. Vorbei am malerisch an einem See gelegenen Campingplatz „Via Claudiasee“ geht es weiter, wir fahren unter der Kajetansbrücke durch. Ab hier verläuft der Radweg ein Stück direkt neben der Reschenstraße – mal kurz direkt neben der Fahrbahn, zum größten Teil aber um einige Höhenmeter abgesenkt Richtung Inn, so dass man nicht viel von der Straße mitbekommt.
Grenzübergang wie im Mittelalter
Der Weg verläuft trotz Straßennähe zum größten Teil recht malerisch. Schließlich trennen sich die Verläufe etwas mehr. Dem Radweg Via Claudia Augusta folgend dürfen wir den Inn in einer Schlucht passieren, an deren Ausgang sich die mittelalterliche Grenzanlage Altfinstermünz befindet. Eine imposante malerische Festung – tatsächlich ist auch heute direkt danach die Grenze zwischen Österreich und der Schweiz, einige Hundert Meter davor, bei der Passage durch die Schlucht, ist der Radweg selbst die Grenze. In Fahrtrichtung links liegt Österreich, rechts die Schweiz.
Ich habe noch nie einen schöneren Grenzübergang gesehen.
Kurz nach Passieren der Holzbrücke zur Festungsanlage befinden wir uns fast unmerklich in der Schweiz. Ab hier ist der Inn für einige Kilometer bis zur Ortschaft Martina, die wir in Kürze passieren werden, die Grenze zu Österreich und damit zur EU.
Die Dokureihe „Wunderschön“ des WDR hat die Festung ebenfalls besucht.
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(Spult automatisch an die richtige Stelle)
Wir haben uns hier nur kurz aufhalten können, da wir den weiteren Verlauf der Etappe vom zeitlichen Aufwand her schlecht einschätzen konnten und um 12:00 Uhr eine Verabredung mit Freunden auf der Norbertshöhe hatten.
Neu erschlossene Passage Fahrradweg Via Claudia Augusta am Inn bewahrt vor Straßenverkehr
Nach der malerischen Schlucht geht es bald bergauf und der Weg mündet in die Straße nach Martina. Glücklicherweise gibt es dort nach nur ca. 1.400 m eine unerwartete „Begnadigung“. Just diese Saison wurde ein neues Teilstück des Via Claudia Augusta Radwegs erschlossen, das den Fahrradverkehr von der nicht so angenehmen Straße entflechten soll. In unseren digitalen Karten war das noch nicht vermerkt. Ein relativ dezentes Schild mit einem Fahrradsymbol auf braunem Grund weist uns links von der Straße, wo es zunächst auf Schotterserpentinen einigermaßen steil wieder zum Inn heruntergeht. Zunächst waren wir uns nicht sicher, ob das alles so richtig sein soll.
Auch wenn der Untergrund in den ersten Kurven noch nicht ganz verfestigt ist und große Vorsicht erfordert, empfinden wir das als absoluten Gewinn. Etwa zwei Kilometer weiter mündet der Fahrradweg am Wasserkraftwerk wieder auf die Straße, die wir vorher verlassen haben. Aber wir haben uns einige Galeriedurchfahrten zusammen mit dem Autoverkehr erspart und stattdessen das Rauschen des Inn gehört. Von uns ein klarer Tipp für diese Umgehung!
Flucht vor dem Autoverkehr über alternative Route in den Bergwald
Schon bei den ersten Recherchen und Sichtung von Reiseberichten zur Via Claudia Augusta blieb bei dieser Etappe immer ein leichtes Stirnrunzeln zurück. Kurz vor Martina auf die Straße, dann über Serpentinen hoch ebenfalls zusammen mit den Kraftfahrzeugen den alten Pass zur Norbertshöhe hoch? Wirklich?
Angeblich ist diese Straße nicht wirklich stark von PKW befahren. Eine Suche auf YouTube förderte aber einige Clips zu Tage, in denen sich Motorradfahrer fröhliche Rennen rauf und runter lieferten. Die Zweifel wurden dadurch nicht gerade kleiner. Sicher kommt man auch über die Straße hoch – aber wenn es einen netten Schleichweg gäbe, wäre das toll, oder?
Tatsächlich habe ich nach einiger Recherche eine Lösung, zunächst theoretisch, gefunden. Wir waren uns in der Gruppe schnell einig, dass wir es praktisch testen wollen. Man biegt in Martina nicht links nach Österreich auf die Passstraße ab, sondern hält sich rechts und bleibt in Fahrtrichtung gesehen auf der rechten Seite des Inn, dem Innradweg folgend. Ca. 2,5 km später gibt es eine kleine Brücke, hier überqueren wir den Inn, passieren zunächst ein kleines Gewerbegebiet und sind dann auf einem geschotterten Wirtschaftsweg, dem wir immer weiter folgen.
Der Anstieg ist stetig und durchaus markant steil und lang, der Weg bereitet aber keine weiteren Schwierigkeiten, vergleichbar mit dem Anstieg zum Fernpaß – lockerer Schotter, zuweilen größere Steine dabei, gewisse Vorsicht ist geboten. Ein wirkliches Problem sehen wir hingegen als motorunterstützte Radler nicht.
Das schwarze kalte Loch im Fels
Ich hatte ja Bilder und Berichte über dieses Kuriosum gefunden, nun standen wir nach einer Wegbiegung relativ unvermittelt selbst davor. Ein schwarzes Loch im Fels. Komplett zappenduster, nicht auszumachen was da drin war. Ein kalter Luftzug kam uns entgegen, sonst nur absolute Dunkelheit und außer uns niemand weit und breit zu sehen.
Wir wussten ja, dass das kommt, hatten auch schon alle, soweit nicht ohnehin Beleuchtung fest verbaut war, unsere Stecklichter montiert. Dennoch ist man schon froh, wenn man nach einer kurzen Strecke wieder die Sonne sieht. Im Nachhinein war das eines der Highlights der Reise.
Im Geländegang über das Dach der Tour zurück nach Österreich
Es ging immer weiter bergauf, zum höchsten Punkt dieser Etappe und der ganzen Reise. Das Dach der Tour markierte gleichzeitig auch die grüne Grenze zurück nach Österreich. Tatsächlich haben wir durch diese kleine Umgehung den Reschenpass (1.513 m.ü.N.N.) mit unserem wilden Grenztrail (1.541 m.ü.N.N.) in dieser Disziplin knapp vom Thron gestoßen.
Schon bei der Planung und Begutachtung der topographischen Karten fiel mir auf, dass der Weg eigentlich komplett ein breiter Wirtschaftsweg ist. Die einzige Ausnahme ist ein etwa 200-300 m langes Stück genau am Grenzübertritt. Danach, wieder zurück in Österreich, wandelt sich der Pfad wieder zum breiten, geschotterten Wirtschaftsweg.
Möglicherweise will man keinen Autoverkehr oder Schmuggel im großen Stil über die grüne EU-Grenze und lässt diese natürliche Barriere für Kraftfahrzeuge absichtlich bestehen.
Der Pfad selber ist ein S1-Trail, allerdings – wie weitere Recherchen ergaben – ohne Gefahren wie Ausgesetztheit oder Absturzgefahr. Vielmehr ist es einfach ein auf und ab durch einen Trog verlaufender, schon ziemlich holpriger Wurzeltrail. Stolpern kann man schon – irgendwo abstürzen hingegen nicht.
Mit bepackten Trekkingrädern ist hier möglicherweise Schieben angesagt. Dafür haben sich auch einige aus der Gruppe entschieden. Ich hatte da viel Spaß und bin das Stück gleich dreimal gefahren.
Ich habe einen
>YouTube-Videoclip<
hochgeladen, in dem ihr diese Passage selbst beurteilen könnt.
Das Fazit unserer Gruppe – auch von denen, die über den kleinen Trail ihre Räder geschoben haben – lautete, dass sich diese Variante gegenüber der Straße auf jeden Fall gelohnt hat. Der Preis dafür sind ca. 6 km Umweg und gute 110 Hm mehr. Die Abfahrt nach der grünen Grenze zur Norbertshöhe (ja, es ist von da tatsächlich eine Abfahrt!) auf breiten, teilweise locker geschotterten Wirtschaftswegen mit durchaus steileren Passagen ist bei angepasster und vorsichtiger Fahrweise kein Problem.
Ich würde immer wieder diese Variante gleich einplanen. Zu bedenken wären natürlich, wie immer draußen im Allgemeinen und im alpinen Bereich im Besonderen, die tagesaktuellen Verhältnisse. Wir hatten die besten Bedingungen, stabiles sonniges Wetter, keinerlei Gefahr daher in Sicht. Bei Sturmgefahr, Gewitter oder sonstigen drohenden Wetterkapriolen sollte man das lassen. Wir haben über den gesamten Aufstieg niemanden getroffen, kurz nach der Grenze ein paar Wanderer mit Hund.
Auch sollte man Bedenken, dass diese Passage mehr Anstrengung durch den markanteren Anstieg auf Schotter kostet. Für Pedelecs nur am Rande bedeutsam, für Radler ohne Unterstützung möglicherweise ein entscheidender Faktor. Das Gute ist, man muss sich erst in Martina an der Grenze entscheiden, bis dahin kann man es offen lassen.
Im grauen Kasten gleich am Anfang dieses Artikels gibt es eine Möglichkeit, die GPX-Datei zu dieser Etappe samt der Bergwaldalternative zur Straße herunterzuladen.
Mit Verstärkung nach Bella Italia und der Sturzflug nach Laas
An der Norbertshöhe, die wir moderat verspätet erreichten, trafen wir ein befreundetes ortskundiges Paar, das uns ein kleines Stück begleitete. Wir folgten ab hier wieder der klassischen Via Claudia Augusta Route.
Spätestens ab dem Haidersee ändert sich der Charakter der Radwege grundlegend. Wir finden nun feinsten Asphalt als Untergrund vor, der Zustand ist perfekt, die Markierung erinnert an Bundesstraßen, nur eben enger – viel enger.
Ab dem Ende des Haidersees wird es dazu steil, sehr steil zum Teil und auch durchaus kurvig. Wenn man nicht aufpasst, wird man schnell zum Geschoss für den Gegenverkehr, der seinerseits einen heftigen Anstieg zu bewältigen hat und auch nicht immer die Spur hält. Die Strecke macht mir zu meiner eigenen Überraschung als Mountainbiker mit tief sitzender Asphaltallergie wirklich Spaß. Es hat was von Achterbahn und fordert meine Selbstdisziplin um nicht in einen gefährlichen Temporausch zu verfallen.
Nur folgerichtig der Analogie zum Kraftfahrzeugverkehr sind Radarmessungen, die einen erinnern sich an das Tempolimit von 30 km/h zu halten. Wenn man nicht konsequent abbremst, ist man sofort schneller. Kein Wunder, dass es an Sammelstellen zuweilen etwas nach gegrillten Bremsbelägen riecht.
Zwischendrin unterbrochen von teilweise pittoresken Orten und Burgen ging der letzte Teil dieser extrem abwechslungsreichen Etappe in Laas zu Ende.
Die Wettervorhersage für den nächsten Tag prophezeite ein Ende des herrlichen Sommerwetters. Vom Versteckspiel mit den Unwettern und den schwarzen Fluten der Etsch auf der nächsten Etappe vorbei an Meran zum Kalterer See handelt die nächste Folge.
Hier weiterlesen:
Teil 5: Von Laas über Meran an den Kalterer See – Spätstart in die längste Etappe
Vorheriger Teil des Berichts:
Teil 3: Regeneratives Ausschütteln der Beine zwischen Imst und Pfunds